Katka Räber-Schneider
1953 in der Tschechoslowakei geboren, dort, in der DDR und nach der Emigration in der Schweiz aufgewachsen. Später in der BRD, Tunesien, mit ihrer Familie in Kanada, heute in Basel als Autorin,
Psychologin, Fotografin und Trauerrednerin lebend.
Verschiedene Publikationen in der Schweiz, Deutschland
und Tschechien.
Mehrere Fotoausstellungen. Verbindet bürgerliches Leben und Kunst in Lebenskunst.
Rezension von Peter Rudolf, Deutsche Haiku-Gesellschaft
365 Haikus
Das Büchlein, ein Hardcover im quadratischen Format, das Cover rundum in einem Anthrazit gehalten mit einem minim schwachen Stich ins Rötliche, bedeckt aufgeschlagen gerade beide Hände des Lesers. In vierzehn Kapiteln wird er durch das Leben geführt, vom ersten Kapitel „Schreiben“ über solche wie „Gesellschaft“ oder „Flüchtlinge“ bis zum letzten: „Zeit“. Ganze vier Texte bringt die Autorin Katka Räber-Schneider in diesem letzten Kapitel unter. Das letzte Haiku heisst:
Immer gleichmässig
rollt die Gischt, schäumende Zeit,
ganz ohne Zeiger.
Im ersten Kapitel, nach einer Einleitung geschmückt von ersten vierzeiligen Gedichten, erfasst Räber-Schneider den schöpferischen Akt des Schreibens mit einem bezaubernden Haiku:
Waches Wort auf der Zunge.
Ich lass es zergehn,
erst dann aufs Papier.
Im zweiten Kapitel „Freundschaft“ ist dieses frühlingshafte Haiku notiert:
Ein Blick ins Gestern,
warme Sätze sprudeln wach,
die Gegenwart lebt.
In „Augenblicke im Alltag“ hat die Autorin einge ihrer bemerkenswertesten Haiku notiert. Eines davon lautet:
Hinter der Wand spielt
ein Cello. Wie sieht wohl
der Mensch mit Bogen aus?
Würden die beiden Texte
Der Mann umarmte
die zugestiegene Frau
ganz lang und innig.
Der Frau im Zug floss
beim Lesen eine Träne
über die Wange
im Präsens stehen, fänden sich in diesem Kapitel zwei weitere wunderbare Haiku neben diesem Laufmaschen-Haiku:
Am Himmel eine
Laufmasche, die ein Flugzeug
ins Blau gerissen.
Im Kapitel über die Liebe läuft Katka Räber-Schneider zur Hochform auf. Neben vielen lustigen Geistesblitzen und Aphorismen sind hier folgende beiden Haiku versammelt:
Homöopathisch
lese ich deine Zeilen,
sie schmelzen im Mund.
Wir versuchen die
Zeit zu dehnen, Kaugummi
zwischen den Herzen.
Im einen oder andern Detail zeigt sich wohl, dass Katka Räber-Schneider sich zum ersten Mal an den Haiku versucht. Beim folgenden Haiku sind die abschliessenden Auslassungspunkte meiner Ansicht nach unnötig, falsch und auch überflüssig:
Dann gehts weiter mit
carpe noctem. Zum Glück bleibt
die Zeit dann stehen …
Unnötig, weil der zweite Satz an und für sich grammatikalisch auch vollständig ist: Von der formellen Korrektheit her sind keine Punkte nötig. Falsch deswegen, weil sie dem Inhalt widersprechen. Der Inhalt setzt mit dem Verb „Stehenbleiben“ einen absoluten Punkt. Dem widersprechen die Auslassungspunkte inhaltlich diametral, die ja eben nicht stehenbleiben, sondern über das Ausgesagte hinausführen. Überflüssig sind die drei Punkte meiner Meinung nach, weil das Haiku durch sie keine Bereicherung erfährt. Das mit ihnen Angedeutete ist sowieso schon textimmanent. Und ich glaube nicht, dass es bei diesem Haiku der Autorin als wichtigstes darauf ankommt, diesen Widerspruch herauszustellen.
Für die fröhliche und impulsive Art, für die viele Texte der Autorin Zeugnis ablegen, sei aus dem Kapitel „Kunst“ ein letztes Haiku zitiert:
Die Töne hüpfen
wild durch den Saal wie Flöhe
im Taschenzirkus.
Durch die zahlreichen Illustrationen von Jan Räber, einem Sohn der Autorin, erfährt der Witz und der Humor auf gleichem Niveau eine adäquate Begleitung. Sie werden meiner Meinung nach auch dem differenzierten Blick der Dichterin auf sich selbst gerecht. Wer gern schmunzelt, wer sich gern auf hohem Niveau unterhalten lässt, dem sei dieses Büchlein wärmstens zur Lektüre ans Herz gedrückt.
Die zitierten Texte finden sich, in der Reihenfolge ihres Auftretens, an folgenden Stellen im Buch: 145/2; 17/3; 23/1; 27/2; 28/1; 29/2; 30/1; 38/1, 3; 144/2; 80/1.